Frage einer Mutter:
„Meine Große erzählt mir alles von der Schule. Positiv wie negativ. Wenn sie Strafen bekommt, Blödsinn anstellt, Fehler macht, … alles.
Nun hat heute die Lehrerin zu ihr gesagt, sie solle aufhören, daheim über Dinge zu reden, die die Schule betreffen, sie sei in einem Alter, wo sie sich endlich lösen müsse von mir, und sie soll das alleine klären, und das hat daheim bei ihrer Mutter nichts verloren. Was meinst du dazu?“
Diese Leier „Du musst dich von Deinem Kind/Jugendlichen lösen“ höre ich schon sooo lange, aber sie wird dadurch nicht wahrer. Natürlich gibt es ab und zu Eltern, die ihre enge Beziehung zum Kind so gestalten, dass das Kind nur die Wahl hat, sich selbst zu verleugnen oder die Beziehung zu gefährden, wenn eben die Beziehung seitens der Eltern an Bedingungen geknüpft ist (nur wenn du Abi machst, nur wenn du die Firma übernimmst, nur wenn du…)
Aber in den meisten Fällen ist es genau dieses „alles erzählen“, das, wie du richtig schreibst, unser Kind schützt. Nur sind heute die Kinder, bei denen es noch so ist, leider Ausnahmen und werden daher von den verhaltenspsychologisch geschulten Lehrern als “zu stark gebunden” angesehen. Den meisten Kindern bleibt ab Krippe oder Kita nichts anderes übrig, als sich immer mehr an die anderen Kinder zu binden, denn die sind die einzigen, die verlässlich immer da sind.
Ich höre sogar von Eltern, deren Kindergartenkinder (!) am Wochenende (und in den Ferien) die Kita vermissen – und die Eltern sind zwar im Herzen verunsichert, ihr Verstand freut sich aber, dass ihr Kind die KiTa „so toll findet“. So wird aus einem besorgniserregenden Alarmzeichen, einfach weil es so weit verbreitet ist, die neue „Normalität“.
Also: Inhaltlich gebe ich dir völlig Recht. Aber wenn die Lehrerin deiner Tochter so denkt, wirst Du sie jetzt in den letzten Monaten vermutlich auch nicht mehr überzeugt kriegen, und es wird deiner Tochter vermutlich mehr schaden als nutzen, wenn du ihrer Bitte nachkommst.
Ich würde sie vermutlich öfter mal mit Bauchweh oder so zu Hause lassen und versuchen, die Entspannung schon anfangen zu lassen . Nicht kämpfen und überzeugen wollen, das stresst deine Tochter noch mehr, und das kannst du ihr auch erklären, selbst wenn sie das will. Da sie deinen Rückhalt hat, wird sie die paar Monate noch überstehen.
Du könntest trotzdem das Gespräch mit der Lehrerin suchen, aber nicht um zu überzeugen, sondern um die Bindung zwischen ihr und deiner Tochter zu fördern (indem du der Lehrerin erzählst, was die Tochter eventuell bei ihr gut findet, und deiner Tochter, wie sehr ihre Lehrerin sie schätzt, dass sie so gerne hätte, dass sie bleibt), – wenn die Stimmung zwischen dir und der Lehrerin nicht schon zu verbrannt dafür ist. Wenn das so ist, wie gesagt, nicht kämpfen, sondern deine Tochter so entspannt wie möglich durch die letzten Monate schleusen … Freue mich auch auf andere Meinungen!
Zum Thema Bindung noch dies: Eine Bindung zu den verantwortlichen Erwachsenen kann nicht zu stark sein, nur zu oberflächlich. Die Bindung an Gleichaltrige, die heute so gefördert wird, ist fast immer zu oberflächlich, denn Kinder haben weder die nötige Reife noch die Aufgabe, sich fürsorglich und verantwortlich umeinander zu kümmern – es sollte im Idealfall so sein, dass sie zwar untereinander fürsorglich sind, soweit und wann sie es schaffen, aber „wenn die Hütte brennt“, die Erwachsenen zu Hilfe holen. Sie darin zu entmutigen, nimmt ihnen den Halt, den sie brauchen. Sie brauchen eben Flügel UND Wurzeln.
Aber weil die Bindung unter Gleichaltrigen so ein wenig geschützter Raum ist, binden sich die Kinder untereinander vorwiegend über „Gleichheit“, allenfalls noch über Loyalität und (Cliquen-)Zugehörigkeit, alles andere wie individuelle Wertschätzung, individuelle Liebe und individuelle psychologische Nähe (wie deine Tochter sie hat mit ihrem Bedürfnis, dir alles zu erzählen und dir ihr Herz auszuschütten – das ist die kostbarste 6. Bindungsstufe nach Neufeld…) ist zu verletzlich.
Es gibt viele Kinder, die alles tun, um zu ihrer Clique dazuzugehören – gleichzeitig aber dort nie verletzliche Dinge von sich erzählen würden, wie dass sie um ihren Goldhamster weinen oder sich Sorgen um ihre kranke Oma machen.