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„Einzeln und frei wie ein Baum – geschwisterlich wie ein Wald“ (nach Nâzım Hikmet) Was brauchen Kinder, um sie selbst zu werden?

„Erziehung“ wurde lange als eine Art Bildhauer-Tätigkeit verstanden: Alles, was nicht passt, muss weggehauen werden, wobei das mit dem Hauen früher oft wörtlich genommen wurde. Unsere Kultur ruht auf einer uralten Grundlage von „Der Mensch ist böse von Jugend auf“, „Wer den Knaben liebt, schont die Rute nicht“ und so weiter.

Heute lernen wir, uns mehr als Gärtner zu sehen, die Pflanzen beim Wachsen begleiten. Um diese gärtnerische Haltung in unserem Alltag immer besser zu verwirklichen, gibt es mein Projekt FREIGROSSWERDEN mit der kontinuierlichen Wachstumsgruppe (für berufliche Anwender: Supervisionskreis). In dieser Gärtner-Perspektive stecken entscheidende Informationen, um zu verstehen, was Kinder brauchen, um sie selbst zu werden und ihr volles Potenzial zu verwirklichen:


Bindung:

Wachstum ist nicht denkbar ohne den „Mutterboden“, in den das kleine Wesen seine Wurzeln senken kann. Das geschieht nach und nach, und die späteren Wurzeln reichen immer tiefer, machen Kind immer unabhängiger vom „warmen Regen“ unserer Zuwendung und geben ihm immer mehr Freiheit, es selbst zu sein. Tatsächlich nimmt dieser Prozess beim Menschenkind mindestens die ersten 6 Lebensjahre in Anspruch – das wissen heute die Wenigsten! In meinen Kursen sind die Gesetzmäßigkeiten für Wachstum und Entwicklung von Kindern ein zentraler Punkt. Denn wenn wir verstehen, wie Bindung sich entwickelt und wie viel Zeit sie dafür braucht, reagieren wir viel verständnisvoller auf Verhaltensweisen unseres Kindes, die uns „befremden“.
Das sind außer Aggression vor allem die Ängste von Kindern, die sich bis hin zu Zwangsvorstellungen und Zwangshandlungen steigern können. Zu diesem Thema gibt es im Februar 2025 ein kostenloses Webinar und anschließend einen Kurs „Ängste, Zwänge und Neurosen – verstehen, begleiten, auflösen

 

Selbstausdruck:

Aus einer Eiche wird kein Rosenbusch, egal welche Umgebung wir bieten. Jedes Kind ist einzigartig, und unsere Aufgabe ist nicht, zu bestimmen, wie es wachsen oder was es „werden“ soll. Wir als Gärtner geben ihm die bestmögliche Umgebung in dem Wissen und Vertrauen, dass jedes Kind seinen Entwicklungsplan in sich trägt. Dieses Vertrauen fehlt uns oft noch, und wir glauben, das Kind „formen“ zu müssen. Auch bei der Lernbegleitung haben wir Vorstellungen von Ordnung und zeitlichem Ablauf im Kopf, die dem Leben meist nicht entsprechen.

Schule?


Stell‘ Dir eine Baumschule vor, in der alle Bäumchen am zweiten Ast hinten links, drittes Zweiglein, JETZT ein neues Blatt bilden müssen, weil es für Montag 8:15 auf dem Lehrplan steht. („Nein, Kevin, DRITTES Zweiglein!“)

Dazu kommt: Solange ein Kind innerlich mit drängenden Bindungsproblemen beschäftigt ist (Wird Papa ausziehen? Werde ich in der Pause wieder gemobbt? Bin ich auch zur Geburtstagsparty eingeladen?), ist sein Gehirn sinnvollerweise für alles andere blockiert. Unsere zentrale Aufgabe der Begleitung des „FREIGROSSWERDENs“ unserer Kinder hat also viel mehr zu tun, dem Kind Bindung, Sicherheit und Geborgenheit zu ermöglichen, als damit, wann denn nun endlich das neue Blatt im dritten Zweiglein links kommt.

 

Entwicklung:

Das Gras wächst nicht schneller, wenn wir daran ziehen – und eine Raupe kann nun mal nicht fliegen. Die ungeduldige Annahme, ein Kind könne „lernen“, reif zu werden (Stichwort soziales Lernen), übersieht das allem Leben zugrundeliegende Konzept der ENTWICKLUNG. Ein Kind kann (wie die meisten Tiere) lernen, ein bestimmtes VERHALTEN zu zeigen, wenn wir ihm dies durch stete Wiederholung angewöhnen oder es dafür belohnt (bzw für „Fehl-Verhalten“ bestraft) wird. Wenn ein zweijähriges Kind in der Kita gelernt hat, sich in einer Reihe anzustellen, um keinen Ärger zu bekommen, ist das aber nicht gleichbedeutend damit, dass es bereits die reife Fähigkeit der Geduld entwickelt hat oder das Konzept der Fairness nachvollziehen kann. Integration, echtes Abwägen mehrerer Standpunkte und Interessen, Zeitplanung, zielgerichtete Arbeit, Geduld, Mut, Gewaltfreiheit und etliche andere Tugenden lassen sich nicht mal eben lernen, sondern sind das Ergebnis einer ENTWICKLUNG.

Diese Entwicklung geschieht umso zügiger, je günstiger die Bedingungen sind, die das kleine Pflänzchen im „Garten“ seines Umfeldes vorfindet.

 

Wir sind also keine Bildhauer, die den uns anvertrauten jungen Menschen formen, sondern Gärtner, die ihm ein möglichst gutes Umfeld für seine selbstbestimmte und in ihm angelegte ENTWICKLUNG bieten. Zwei Dinge unterscheiden uns aber vom Pflanzengärtner:
1) Wir behüten keine Nutzpflanze (jedenfalls ist das meine Überzeugung) und ziehen sie groß, damit sie (wem?) hohen Ertrag bringt. Sondern wir wollen unser Kind so begleiten, dass es sein einzigartiges Potenzial frei entfalten kann. Der „Ertrag“ für die Welt kommt dann ganz von selbst, denn jedes Kind kommt ja hierher, um Erfahrungen zu machen und sich einzubringen. Freiheit muss wachsen. Deswegen heißt mein Projekt FREIGROSSWERDEN.

2) Jedes Kind gibt es nur ein einziges Mal auf der Welt – und es kommt ohne Gebrauchsanleitung. Wir sind diejenigen, die unser einzigartiges Kind am liebevollsten beobachten, um herauszufinden, welche Bedingungen ihm am besten zusagen. Und wir müssen damit leben, dass es sich vielleicht zu einer ganz anderen Pflanze entwickelt, als wir uns das so vorgestellt haben. Liebe machts möglich…

Wenn wir vor diesem Hintergrund zur Kenntnis nehmen, welche Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung von Menschenkindern zugrunde liegen, können wir

  1. Unsinnige Erwartungshaltungen gegenüber dem Kind loslassen
  2. Viel gelassener mit der Kritik umgehen, die von anderen kommt, wenn wir im Umgang mit unserem Kind unserer Herzensintuition folgen
  3. Die Gleichwürdigkeit und Selbstbestimmung unseres Kindes sinnvoll mit unserer Verantwortung als reifere Erwachsene ins Gleichgewicht bringen.

Denn:

„Eure Kinder sind nicht Eure Kinder –
Sie sind die Söhne und die Töchter der Sehnsucht
des Lebens nach sich selber.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,
Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.

Ihr dürft ihnen eure Liebe geben,
aber nicht eure Gedanken,
Denn sie haben ihre eigenen Gedanken
Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben,
aber nicht ihren Seelen,
Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen,
das ihr nicht besuchen könnt,
nicht einmal in euren Träumen…“

(Khalil Gibran)

 

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