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G20-Gipfel in Hamburg – Die Grossen spielen Weltregierung

Die G-20 ist im Zuge der Finanzkrise zu einem mächtigen Akteur der Weltwirtschaft aufgestiegen. Vom Fehlen ihrer Legitimität lässt sie sich dabei nicht irritieren. Nachstehend der Artikel in der Zürcher Zeitung.

– interessanter Kommentar der Neuen Zürcher Zeitung
1) Der Hamburger „Anwaltliche Notdienst“ berichtet von seiner Einschätzung der Ausschreitungen in Hamburg und spricht von „Fake News“ der Polizei: https://youtu.be/zoApk1lc5-4

2) Der Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung benennt wichtige Aspekte der eigentlichen Problematik dieses Gipfels:

„Man muss nicht durch die Brille der Globalisierungskritiker schauen, um unappetitliche Seiten der G-20 zu erkennen. Die Gruppe hat zwar Gewicht: So spiegeln die vertretenen Industrie- und Schwellenländer zwei Drittel der Weltbevölkerung, vier Fünftel der globalen Wirtschaftsleistung und drei Viertel des Welthandels. Dem Forum fehlt es aber an demokratischer Legitimität. Seine Zusammensetzung und sein Handeln sind weder durch völkerrechtliche Verträge noch durch die Uno gestützt. Bestimmungen, die ihr Tun regeln, fehlen. Entsprechend willkürlich mutet an, wer dazugehört und wer nicht. So weisen etwa die Nichtmitglieder Ägypten, Thailand, Nigeria, Polen und Iran je eine höhere Wirtschaftskraft auf als das Mitglied Südafrika.
Kein Gremium hat die G-20 gewählt, und ihre Mitglieder unterstehen keiner Rechenschaftspflicht – weder gegenüber der Uno noch gegenüber den über 170 Nichtmitgliedstaaten. Letztere sind von den Beschlüssen des Klubs gleichwohl betroffen. Die Parole «Keine Besteuerung ohne Vertretung», ausgerufen im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, gilt nicht für die G-20, wo selbsternannte Weltverbesserer über andere Länder bestimmen. Dass dies an der Glaubwürdigkeit der G-20 kratzt, ist zwar auch den Mitgliedern bewusst. Doch der Status quo wird mit dem Totschlagargument verteidigt, nur mit einer informellen Struktur – will heissen: ohne Regelwerk – rasch auf neue Herausforderungen reagieren zu können. Flexibilität, so die Botschaft, kommt vor Rechtsstaatlichkeit.

Das ist eine besorgniserregende Priorisierung. Dennoch, zugutehalten muss man der G-20, dass sie die Weltwirtschaft immerhin besser abbildet als die G-7. Letztere ist zwar homogener und versteht sich nicht bloss als Zweckbündnis, sondern auch als Wertegemeinschaft. Spätestens in der Asien-Krise zeigte sich aber, dass dieses Siebnergremium kaum noch Gemeinsamkeiten hat mit einer zusehends multipolaren Wirtschaftsordnung. Es waren in der Folge vor allem die USA, Kanada und Deutschland, die nach eigenem Gutdünken einen erweiterten Kreis grosser Volkswirtschaften absteckten und 1999 die G-20 ins Leben riefen. Das hatte anfänglich noch kaum Folgen, da sich nur die Finanzminister und Notenbankchefs trafen. Nach Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008, als die Gipfel auf die Ebene der Staats- und Regierungschefs gehievt wurden, änderte sich dies aber rasch.

Es sind denn auch vor allem die im Zuge der jüngsten Krise lancierten Initiativen, die für Nichtmitglieder wie die Schweiz heikel sind. Zwar kann die G-20 als informelles Forum keine global verbindlichen Beschlüsse fassen. Indirekt tut sie es aber trotzdem. So werden im Rahmen der G-20 und von deren Fachministertreffen wegweisende Entscheide in anderen internationalen Organisationen vorgespurt oder Mandate an diese Organisationen erteilt. Beispiele sind die Schaffung des Financial Stability Board (FSB) zur Überwachung des globalen Finanzsystems, die Verabschiedung neuer Bankenregulierungen oder die Rekapitalisierung des Währungsfonds (IMF). Zu solchen Entscheiden können Nichtmitglieder nur noch Ja und Amen sagen. In der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – einst eine staubtrockene Behörde, die sich vor allem mit Statistiken beschäftigte – hat die G-20 zudem eine willfährige Handlangerin gefunden für die Jagd nach «Steuersündern». Mehr als nur einmal fand sich dabei auch die Schweiz auf schwarzen oder grauen Listen. Im Auftrag der G-20 forcieren die OECD-Funktionäre zudem neue Regeln zur Firmenbesteuerung. Man mag solchen Aktivismus, der weniger mit dem Wunsch nach «Steuergerechtigkeit» als vielmehr mit leeren Kassen allzu ausgabefreudiger Staaten zu erklären ist, als nötig erachten oder gar begrüssen. Eher unschön ist aber, dass all dies von einem Klub orchestriert wird, der weder repräsentativ noch demokratisch ist.

Draussen vor der Tür
Einzuordnen ist diese Kompetenzanmassung in das Bild einer allgemeinen Verluderung internationaler Organisationen. Sei es die OECD, die sich als globaler Steuerkommissar aufspielt, sei es der IMF, der mit engem europäischem Fokus statt Währungen neuerdings auch Staatsbudgets stützt, oder sei es – vergleichsweise harmlos – die Osteuropabank (EBRD), die längst in Regionen weit ausserhalb Osteuropas wildert: Immer mehr internationale Organisationen kümmern sich kaum noch um ihr originäres Mandat, sondern tun und lassen, was gerade als opportun erscheint. Über alldem thront die G-20, beseelt vom Machbarkeitsglauben, die Weltwirtschaft per Dekrete und Aktionspläne lenken zu können. Über den Umweg internationaler Organisationen münzt sie dabei ihren informellen Charakter in formelle Politik um.

Für Kleinstaaten wie die Schweiz verheisst dies nichts Gutes. Jahr um Jahr müssen sie einen Bückling machen und hoffen, vom jeweiligen G-20-Präsidenten wenigstens eine der heissbegehrten «Wild Cards» zu erhalten. Mit einer solchen Einladung dürfen sie dann vom Katzentisch aus zusehen, wie die Grossen Weltregierung spielen. Dass die umworbenen Gastgeber die Tickets nicht gratis und franko abgeben, sondern von den Bittstellern artiges Entgegenkommen in diversen Streitfragen verlangen, versteht sich von selbst. Die Kleinen müssen bei diesem unwürdigen Schauspiel denn auch viel diplomatisches und finanzielles Kapital in die Hand nehmen, um sich das gönnerhafte Wohlwollen eines G-20-Mitglieds zu verdienen.

Leserdebatte
Selbstverständlich steht es Staaten frei, untereinander Klubs zu bilden, und Dialog ist eigentlich immer gut. Wenn diese Klubs aber Regeln vereinbaren, die auf undurchsichtige Weise extraterritoriale Wirkung entfalten und oft vor allem Nichtmitglieder betreffen, denen die Mitsprache verwehrt bleibt, ist dies nichts anderes als krude Machtpolitik. Eine solche Weltinnenpolitik mag passen zu einem immer ungezwungeneren Verhältnis vieler Staaten gegenüber verbindlichen Regeln, wie man dies auch in der Euro-Krise sieht. Dieses Vorgehen stärkt in souveränen Kleinstaaten aber das Gefühl der Fremdbestimmung und nährt jene Kräfte, die für Abschottung und Autarkie einstehen. Dass dies ein geeignetes Rezept ist, um die Weltwirtschaft voranzubringen, darf bezweifelt werden.“

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